1.

Der 19. November 1806 war ein ungewöhnlich klarer Tag. Eine Herbstlaune, nicht von Dauer, dachte Johann Hinrich Carstens, als er vormittags vor die Tür seines Hauses in der Deichstraße 43 trat, um zur Börse zu gehen. Sein Hund, ein sandfarbener, hochbeiniger Mischling mit schmalem Kopf und Schlappohren, preschte übermütig davon. Kräftige Westwindböen hatten die schweren Regenwolken der vergangenen Woche vertrieben und den Himmel leer gefegt. Die blasse Sonne spielte auf dem Wasser der Fleete und tauchte Boote, Häuser und Menschen in pastellfarbenes Licht. Morgen, spätestens übermorgen, würde das jahreszeittypische Schietwetter zurückkommen, mit Schauern, Sturm und vielleicht sogar dem ersten Schnee.

Carstens pfiff durch die Zähne.

„Karli!“, rief er dann.

Der Hund schnüffelte etwa hundert Meter von ihm entfernt im Kehricht am Straßenrand. Als er seinen Namen hörte, hob er den Kopf, machte kehrt und rannte auf seinen Herrn zu. Die Straße beschrieb jetzt einen Bogen nach Osten, und Carstens näherte sich der alten Nikolai-Kirche. Zwei lachende Dienstmägde mit Einkaufskörben kamen ihm entgegen und grüßten respektvoll, nahmen dann ihren heiteren Schwatz sofort wieder auf. Über das Pflaster rumpelte ein Ochsenkarren, beladen mit Torf zum Beheizen der Öfen und Kamine.

„Törf, wüllt Se Törf hebben!!“, rief mit kratziger Stimme der junge Mann, der mit heller Joppe, Kniehose, dunkelbraunem Hut und Stiefeln angetan, eine Weidengerte lässig über der Schulter tragend, neben dem Karren herlief. „Törf, har’n Törf!“

In der Luft zankten sich zwei Möwen um einen Fisch, den sie von einer Schute auf dem Nikolaifleet stibitzt hatten.

„Hannemann!“

Carstens wandte den Kopf nach links Richtung Kirche. Dort erblickte er Daniel Gotthilf Möllers stattliche Statur. „Geht’s wieder auf zum Tempel des Mammon? Du bist spät dran heute.“

„Tach, Pastor“, gab Carstens zurück. „Wir sehen uns heute Abend. Dein Sessel wird extra vorher angewärmt.“

Karli lief schwanzwedelnd auf den Geistlichen zu. Der tätschelte ihm leutselig den Kopf und schritt gemächlich davon. Auch Carstens setzte seinen Weg fort. Karli folgte ihm. Sie überquerten die Trostbrücke und gingen zielstrebig auf das altehrwürdige Börsengebäude zu. Arbeiter waren dort gerade dabei, die breiten Steinplatten mit Holzplanken zu belegen, damit der Boden nicht unter dem Schlamm und Schmutz litt, den die ehrbaren Kaufleute jetzt im Winter an ihren Stiefelsohlen hereinschleppten. Carstens studierte kurz die verschiedenen Nachrichten an einem der zwölf Doppelpfeiler im Gebäude. Hier hingen Listen mit eingegangen Waren­posten, diversen Auktionen und Verkäufen. Carstens’ Blick schweifte weiter zu den Dienstanzeigen. Eifrige Bürger erboten sich etwa als Sprachmeister im Französischen oder Portugiesischen, als Kopisten und dergleichen. Vielleicht fand er hier ja einen tüchtigen Kontorgehilfen. Am benachbarten Pfeiler waren am so genannten Fallitbrett die anhängigen Konkursverfahren angeschlagen, eher eine traurige Lektüre. Carstens wandte sich ab, tätschelte Karli die Flanke und ging weiter. Trotz des geschäftigen Treibens hier drinnen schien die Atmosphäre geprägt von satter Beschaulichkeit. Noch.

Denn im Rathaus direkt gegenüber der Börse war der Teufel los. So traf denn Carstens auch seinen alten Freund Senator Gustav Ingwersen nicht an. Er war „dringlichst nach drüben“ berufen worden. Dort hatte, aus Bergedorf kommend, ein Abgesandter des französischen Marschalls Edouard Adolphe Mortier den Senat mit einem höflich verfassten Schreiben erreicht. Darin teilte Mortier den Hamburgern mit, er werde die Stadt auf Befehl Napoleons besetzen. Er verlange Quartier für 2000 Mann Infanterie und 600 Mann Kavallerie nebst Stallung für 700 Pferde. Im übrigen werde niemandem ein Haar gekrümmt, hieß es weiter und schloss mit der Versicherung seiner „ausgezeichnetsten Hochachtung“. Das war dennoch derart unerhört, dass einigen Senatoren buchstäblich der Mund offen stehen blieb. Bürgermeister von Graffen, ohnehin nicht mehr der Jüngste, schien auf einen Schlag um Jahre gealtert. Senator Bartels kratzte sich ständig am Kinn, und Gustav Ingwersen bekam aufsteigende Hitze. Man war, mit einem Wort, zutiefst „konsterniert“.

Soldaten in unserer Stadt! Und dann in dieser ungeheuren Anzahl. Wie sollte das gehen? Das ging überhaupt gar nicht. Was hieß hier eigentlich „Quartier“? Wo doch die Menschen auch so schon recht beengt lebten. Und dann die vielen Pferde. Schlicht ein Unding. Was bildete sich Napoleon denn ein? Die Stadt so mir nichts dir nichts zu okkupieren, war das eigentlich erlaubt?

Die flugs einberufene Bürgerschaft zeigte sich jedoch ebenso ratlos wie ihre hoch- und wohlweisen Ratsherren. Der merkantile Geist der Hanseaten hatte dem Kriegshandwerk seit eh und je nichts abgewinnen können. War man doch weiland durch geschicktes politisches Taktieren sogar unversehrt durch den Dreißigjährigen Krieg gekommen. Seither hatte man sich fremdes Militär fast immer erfolgreich vom Halse gehalten. Die traditionelle Bürgerwache, eine oft bespöttelte Freiwilligen-Mannschaft der Stadt, reichte den Hamburgern an Uniformierten vollauf. Und jetzt standen französische Truppen im Begriff, in die stolze Freie Hansestadt einzufallen! Konnte man das so einfach hinnehmen? Sollte man protestieren? Vielleicht eine Eingabe beim Kaiser, doch allergnädigst von der Okkupation Abstand zu nehmen? An eine Verteidigung war nicht mal im Ansatz zu denken. Die alten Festungswälle waren für viel Geld abgetragen und in Parklandschaften verwandelt worden, die Stadttore standen schließlich jedermann offen. Bürgermeister von Graffen ließ vorsichtshalber nach dem französischen Gesandten Bourienne schicken. Vielleicht konnte der ja etwas ausrichten …

Die aufgebrachten Herren hätten sicher noch Stunden so weiter debattiert, wenn nicht, auch das höchst ungehörig, ein Diener mit hochrotem Kopf in die Sitzung gestürmt wäre.

„Se sünd all dor!“, rief er und schnappte nach Luft.

Es war drei Uhr nachmittags, da marschierten die Fremden in langen Kolonnen durch das Berliner Tor in die Vorstadt St. Georg herein und weiter Richtung Steintor. Dort begann das eigentliche Stadtgebiet. In Windeseile hatte sich die Neuigkeit herumgesprochen, und an den Straßen sammelten sich Hamburgs Einwohner mit Kind und Kegel, um das Schauspiel ganz ahnungslos zu bestaunen. Die Pfeifen schrillten, gefolgt von einem kurzen Trommelschlag. Die tief stehende Herbstsonne schien den Soldaten direkt ins Gesicht. Viele kniffen die Augen zusammen oder blinzelten. Die langen Schöße ihrer blauen Uniformröcke flatterten in den kalten Windböen. Auf ihren schwarzen Zweispitzen prangte die blauweißrote Kokarde mit einem Federbusch, der im Takt der Marschierenden wippte. Am Schluss des Zuges kamen die Berittenen mit hohen dunklen Fellmützen.

„Hannibal ante portas! Hannibal vor den Toren!“ Die hanseatischen Kaufleute in der Börse traf die Nachricht vom französischen Einmarsch ebenso unvorbereitet wie ihre Repräsentanten im Rat. Bestürzt und betreten nahmen die sonst so selbstgewissen Händler die Hände aus den Taschen, um sie gewissermaßen über dem Kopf zusammenzuschlagen. Ein starkes Stück, was sich dieser ausländische Kaiser da erlaubte, darüber war man sich einig. Was das für Handel und Wandel der Stadt bedeuten würde, wagte niemand auszudenken. Besonders Johann Hinrich Carstens schwante Schlimmes.

„Auch das noch!“, entfuhr es ihm.

Sorgte er sich doch schon genug um seinen einzigen Sohn. Der war, wie ein am Morgen eingetroffener Brief von ihm schilderte, als Student in Jena mitten in die Wirren von Napoleons jüngst geschlagener Schlacht geraten. Oder jedenfalls fast.

 

Werther Papa“, hatte er geschrieben, „und meine allerliebste Mama, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie es hier zugeht. Ganz Jena erzittert unter den Schrecken des Krieges. Vor drei Tagen erreichte die französische Armee die Stadt. Seither haben die Bürger kaum ein Auge zugetan. Kein Haus, so scheint es, in das nicht eingebrochen und wo nicht geplündert wurde. Vorgestern Nacht wurden wir von der Feuerglocke aus einem kurzen, unruhigen Schlaf geweckt. Aus mehreren Häusern schlugen Flammen, welche auf die übrige Stadt überzugreifen drohten. ,Die Soldaten! Sie sind Schuld!‘ Der Ruf machte rasch die Runde. In Panik rannten die Menschen auf die Straße, nur mit Nachtgewändern bekleidet. Meine gute Wirtin bebte am ganzen Leibe und schluchzte zum Gotterbarmen, ich wusste sie gar nicht zu beruhigen. Schließlich konnten französische Soldaten das Feuer eindämmen, das einige der Ihren ja selbst verursacht hatten. Den ganzen folgenden Tag über hörten wir den Kanonendonner der nahen Schlacht. An ordentliches Arbeiten in den Hörsälen oder der Bibliothek war nicht zu denken. Professor Hegel ist völlig außer sich. Er glaubt das Manuskript für sein neuestes Werk über die Phänomenologie des Geistes, welches er vor einigen Tagen in die Post gab, damit sein Verlag es drucken soll, wegen der Bataille verloren. Am Nachmittag zogen die Truppen wieder ein, verdreckt und verwundet, aber als Sieger, wie alsbald verlautete. Der Kaiser Napoleon nahm formlos Quartier im Schloss, wo auch sofort ein Lazarett für die vielen Verwundeten eingerichtet worden ist. Wir haben lange beratschlagt, wie dem Marodieren ein Ende gesetzt werden kann. Eine Deputation unter Führung des Rektors sprach schließlich im Schloss beim Kaiser vor und bat um Schonung für die Stadt und die Universität. Dies wurde gewährt. Doch für viele Einwohner ist das bereits zu spät. Selbst bei Goethe in Weimar sollen sie geplündert haben, wird erzählt.

Jetzt eben, wo ich diese Zeilen schreibe, rattert draußen vor meinem Fenster der Totenwagen vorbei mit seiner schauerlichen Fracht aus dem Schloss-Lazarett. Ich erspare Euch das weitere.

Macht Euch meinethalben keine Sorgen. Ich befinde mich wohl, nur ein leichter Katarrh, weil ich mich offenbar während des Brandes zu lange in der kalten Nachtluft aufgehalten habe. Sonst fehlt es mir an nichts.

Grüßt mir unser kleines Karolinchen ganz herzlich. Seid umarmt von Euerm treuen Sohn

Henry

PS.: An Bine und Lili schreibe ich gesondert.

Jena, den 16. Oktober Anno 1806“

 

Seiner Frau hatte Carstens den Brief noch nicht gezeigt. Sie sollte sich nicht aufregen, das war nicht gut für sie. Sie neigte zu Engbrüstigkeit und litt bei Aufregung schnell unter Luftnot. Würden hier womöglich ähnliche Zustände herrschen wie in Jena und wie man sie aus Lübeck gehört hatte? In die nördliche Schwesterstadt waren bereits zwei Wochen zuvor französische Truppen unter Marschall Bernadotte eingerückt, und es hatte neben Plünderungen auch zahlreiche Gewalttätigkeiten gegen die Bevölkerung gegeben. Anlass für den gewaltsamen Einmarsch in Lübeck war allerdings die Flucht des preußischen Generalleutnants Blücher gewesen, der sich in der eigentlich neutralen Hansestadt verschanzt und damit eine nicht vorgesehene Schlacht provoziert hatte. Äußerlich gefasst, doch innerlich angespannt machte sich Carstens, begleitet von seinem Hund, auf den Heimweg.

Bei den Stadtverantwortlichen herrschte noch immer helle Aufregung. Die Soldaten mussten beköstigt und untergebracht werden – und das noch vor dem Abend. Mit der Organisation beauftragt wurden die rotberockten Bürgerkapitäne, die ehrenamtlichen Vorsteher der Bürgerwache. Sie hatten alle Hände voll zu tun, Ordnung in das Chaos zu bringen. Ein Trupp Offiziere erschien alsbald vor dem Rathaus und zeigte sich konsterniert, dass noch keine Vorkehrungen zur ihrer Einquartierung getroffen waren. Um ja keine Missstimmung aufkommen zu lassen, wurden sie zunächst an Ort und Stelle aufs Üppigste bewirtet. Aus dem Ratskeller schleppten Diener Wein in beträchtlichen Mengen herbei, der „Kaiserhof“ bei der Börse lieferte eilig Brot und Braten. Auch Monsieur Bourienne, der Gesandte, machte seine Aufwartung. Man parlierte höflich, bezeugte gegenseitig seinen Respekt und sprach anschließend kräftig dem Weine zu, was die allgemeine Laune so stetig steigen ließ wie die Abendtide im Hafen.

 

Tagebuch der Cäcilie Carstens zu Hamburg, 19. November 1806

Der erste Franzose, den wir zu Gesicht bekommen haben, ist Italiener. Müde, blass und verfroren stand er vorhin mit seinem Quartierbillet in der Hand und seinem Marschgepäck vor unserer Tür. Anna redete ihm gut zu, er solle nur immer frisch hereinkommen, sie habe schon eine Kammer für ihn hergerichtet. Der arme Mann verstand kein Wort, war aber heilfroh, endlich ins Warme zu gelangen.

„De hett ja blots so’n dünne Jack“, sagte Anna kopfschüttelnd, als sie ihn in die Diele führte. Gleich bekam er von Telses köstlicher heißer Bouillon serviert. Das gab ihm wieder Farbe im Gesicht. Er heißt Angelosanto. Was für ein Name! So stellte er sich vor, als Mama ihn empfing: „Grenadier Angelosanto, Paolo.“ Ziemlich steif sei er dabei gewesen, sagt sie. Sein Französisch ist recht passabel, nur die Aussprache gewöhnungsbedürftig. Papa hat extra seinetwegen unseren Pastor wieder ausgeladen. Und wir Mädchen haben ihn erst beim Essen so richtig gesehen. Bine findet, er sähe aus wie ein römischer Tribun: die dicken dunklen Haare, die schwarzen Augen und die gerade edle Nase. „Fehlt nur noch die Toga“, raunte sie mir zu. Karo war erstaunlich schüchtern, sie blickte fast nur auf ihren Teller. Aber sie ist ja auch noch ein halbes Kind. Und dann so ein unverhoffter fremder Gast und die ganze Aufregung in der Stadt. Das hat sie wohl alles verwirrt. Der Italiener schien auch sehr verwirrt, als er uns begrüßte. Er traute sich kaum, uns anzuschauen. Er war insgesamt sehr schweigsam und sehr hungrig. Papa hat ihn dann einiges gefragt, wo er herkäme – ein kleines Dorf in der Lombardei – und wo er überall gewesen sei. Er sei mit Napoleon schon in Ägypten gewesen, gab er uns in einem lustigen Kauderwelsch zu verstehen. Da war es ihm zu heiß, und hier ist es ihm zu kalt. „Frrrroid“, sagte er und schüttelte sich dabei. Wie lange er wohl bleibt?

 

Am übernächsten Tag erlebte Johann Hinrich Carstens eine weitere böse Überraschung. Er erwartete täglich ein Schiff aus England mit einer Ladung Zucker, außerdem Baumwolle, Tee und Kaffee. Da erschien am verregneten Nachmittag tropfnass Gustav Ingwersen in seinem Kontor und ließ sich laut stöhnend und mühsam Atem holend auf einen Stuhl fallen. Carstens’ Hund hatte auf einer Decke gedöst, sprang nun auf und lief an den drei mit aufwendigen Intarsienarbeiten versehenen Stehpulten vorbei zu Ingwersen hin. Doch der schien ihn gar nicht zu bemerken. Auf Carstens’ Frage, was denn beim heiligen Klabautermann geschehen sei, wischte er nur hilflos mit seinen kurzen Fingern durch die Luft.

„Hannemann, es ist aus mit uns“, brachte er schließlich heiser hervor.

„Eine Havarie mit dem Schiff? Das wäre in der Tat schlimm.“

„Vergiss das Schiff“, murmelte Ingwersen und tupfte sich mit einem großen Kattun-Taschentuch die von Niederschlag und Schweiß feuchte Stirn. „Es wird überhaupt keine Schiffe mehr geben.“

„Was?“, Carstens sah ihn verständnislos an. „Nun mal ganz sachte.“

Der Hund ließ sich wieder auf seiner Decke nieder, legte den Kopf zwischen die Pfoten und beobachtete die beiden Männer. Dabei zog er die Stirn in sorgenvolle Falten. Carstens trat zu seinem mächtigen Mahagoni-Wandschrank und nahm zwei Gläser und eine Flasche heraus.

„Rum“, seufzte Ingwersen, „den spar man lieber auf, den wird’s auch nicht mehr geben.“

„Papperlapapp.“ Carstens schenkte ungerührt ein. „Jetzt stärk dich erst mal.“

Ingwersen kippte sein Glas hinunter und keuchte.

„Hier, mein Störtebeker, op een’ Been kann der Schipper nich stehn“, sagte Carstens, und er goss dem Senator erneut ein.

„Er ist verrückt geworden, dieser Napoleon!“, jammerte Ingwersen nach dem zweiten Glas.

„Was hat der denn damit zu tun?“, fragte Carstens.

„Alles! Das ist es ja! Alles! Alles ist hin!“

Ingwersen kramte sein Kattun-Taschentuch wieder aus der Rocktasche und wischte sich den Mund. Dann knetete er den Stoff, als handele es sich um den verrückten französischen Kaiser höchstselbst, den er zur Raison bringen wollte.

„Guschi, nun komm doch mal zum Punkt. Was ist los? Und was hat Napoleon getan?“

„Verboten hat er es uns!“, Der Senator verzog schmerzhaft das Gesicht. „Man stelle sich das vor! Uns! Mit England zu handeln! Verboten!“

Da ließ auch Carstens sich auf seinen Stuhl fallen.

„Verboten? Was heißt das?“, fragte er dann mit erzwungener Ruhe.

„Das heißt – Gott steh uns bei! – das heißt, dass wir nichts mehr einführen dürfen und nichts mehr ausführen“, flüsterte der Senator. „Sämtliche englischen Waren werden konfisziert. Sie müssen binnen 24 Stunden in der provisorischen französischen Registratur eingereicht werden. Für jede einzelne Ware brauchst du Dokumente und Nachweise. Du kriegst morgen eine Abschrift des Dekrets, wie auch alle anderen Commerzdeputierten.“

Er schwieg erschöpft. Seine geröteten Hamsterbacken, die Mundwinkel, selbst die Ringe unter seinen blassgrauen kleinen Augen hingen kraftlos nach unten. Mit einer müden Bewegung nahm er sein Glas und hielt es Carstens hin.

„Hast du noch einen für mich?“

Carstens reichte ihm geistesabwesend die Flasche. Ingwersen griff danach, goss sich sein Glas randvoll und trank es wieder in einem Zuge aus.

„Wir versammeln uns übrigens nachher in der Commerzdeputation“, sagte er dann und hievte seine knapp zwei Zentner Lebendgewicht vom Stuhl, „du kannst gleich mit mir mitkommen.“

Carstens nickte nur stumm. Der Hund sprang auf und schaute seinen Herrn erwartungsvoll an.

 

Leseprobe